Mit einem Wetteinsatz auf Tischtennis-Einzel-Weltmeister aus China lässt sich in der Regel nicht viel Geld gewinnen. Sämtlichen Startern aus dem Reich der Mitte ist der Einzel-Titel in Düsseldorf zuzutrauen, allen voran natürlich den Titelverteidigern Ma Long und Ding Ning.
Ma Long räumt seit geraumer Zeit im Welttischtennis alles ab, ist amtierender Weltmeister und Olympiasieger, der 28-Jährige wurde 2016 von der FAZ zum „menschlichen Außerirdischen“ getauft. Ma war schon vor 2015 – als er erstmals Einzel-Weltmeister wurde – absolute Weltklasse und lange Nummer eins der Weltrangliste. Doch erst der WM-Titel in Suzhou vollendete ihn. Zuvor haftete dem als sensibel geltenden Ma der Makel an, bei großen Turnieren im Einzel nervlich nicht auf der Höhe zu sein. Darüber spricht niemand mehr. Ma Long ist mittlerweile dreifacher Olympiasieger (2016 Einzel und Mannschaft, 2012 Mannschaft), achtfacher Weltmeister und der große Favorit in Düsseldorf. Dimitrij Ovtcharov hat in 17 Duellen noch nie gegen ihn gewonnen. „Wenn der Ball ein paarmal übers Netz kommt, dann bin ich gegen ihn sogar im Vorteil. Das Problem ist, er macht mich häufig so vernichtend mit den ersten Bällen fertig, dass ich viel zu selten in eine Rallye hineinkomme“, sagt der Weltranglistenfünfte Ovtcharov über Timo Bolls Doppelpartner bei dieser WM.
Ähnlich überragend wie Ma Long tritt Landsfrau Ding Ning bei großen Turnieren auf. Die Titelverteidigerin und Olympiasiegerin von Rio gilt es bei den Damen zu schlagen. Was die Linkshänderin mit ihren Power-Schlägen und Ma Long gemein haben, ist, dass sie nach schmerzlichen Niederlagen stärker zurückkam. 2010 verlor sie mit China das WM-Finale gegen Singapur – ein No-Go für die Goldmedaillen-Abonnenten aus dem Reich der Mitte – ein Jahr später wurde sie Einzel-Weltmeisterin. Bei den Olympischen Spielen in London 2012 unterlag Ding Ning im Finale gegen Li Xiaoxia, vier Jahre später in Rio nahm sie erfolgreich Revanche.
Trotz ihrer Favoritenstellung gehen Ma Long und Ding Ning mit leichter Skepsis in die WM. Bei den Asienmeisterschaften Anfang April bezogen die beiden überraschende Niederlagen. Ma Long verlor zum ersten Mal nach viereinhalb Jahren gegen einen ausländischen Spieler, den relativ unbekannten Südkoreaner Jeong Sang Eun; Ding Ning musste sich der erst 17-jährigen Überraschungssiegerin Miu Hirano (Japan) geschlagen geben. Hinzu kommt: Das Nationalteam hatte in jüngerer Vergangenheit mit Krankheiten und Verletzungen zu kämpfen. Fängt die chinesische Mauer etwa an zu bröckeln? Mitnichten.
Die Niederlagen bei den Asienmeisterschaften haben dazu geführt, dass sich die Mannschaft von Generalcheftrainer Liu Guoliang noch akribischer auf die WM vorbereitete. Die Stars wurden mehrere Wochen abgeschottet, kein Kontakt nach draußen, der Fokus lag rein auf dem Training, Ablenkungen waren tabu. Einzige Ausnahme: das Beschäftigen mit der Konkurrenz. Liu Guoliang postete aus der Trainingshalle das Bild eines mehrere Meter hohen Plakats. Darauf zu sehen: Eine schwarze Liste, die Konkurrenten der chinesischen Männer, abgestuft in drei Gruppen. Ganz oben standen unter anderem Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll.
Doch sowohl für Ma Long bei den Männern als auch Ding Ning bei den Frauen gilt in Düsseldorf: Die ärgsten Konkurrenten um den WM-Titel werden eher aus dem eigenen Stall kommen. Gemeinsam eingestimmt haben sie sich aber dennoch. Und zwar haben sie einen eigenen WM-Song aufgenommen. Auch ein Beweis für den Stellenwert des Sports im Tischtennis - in Deutschland kennt man solche musikalischen Meisterwerke nur von der DFB-Nationalelf.